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Taxi Times DACH - 1. Quartal 2021

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RECHT §§-TIPPS GEGEN

RECHT §§-TIPPS GEGEN DIE MIETWAGENSCHWEMME Taxiunternehmer in Deutschlands Großstädten leiden unter einer zunehmenden Anzahl an taxiähnlichen Mietwagen. Gegen deren tägliche Rechtsverstöße scheint jede Behörde machtlos zu sein – außer in Hamburg. Es sind Entwicklungen, über die man nur noch den Kopf schütteln kann: Im Jahr 2020 ist die Zahl der Berliner Mietwagenunternehmen von 644 auf 699 gestiegen, die der Fahrzeuge von 3.619 auf 4.589. Da gleichzeitig die Zahl der Taxis um rund eintausend Fahrzeuge auf mittlerweile 6.898 aktive Konzessionen zurückgegangen ist, machen Mietwagen also bereits knapp 40 Prozent aller zur individuellen Personenbeförderung eingesetzten Fahrzeuge aus. Ähnliche rasante Anstiege der Mietwagenkonzessionen sind auch in vielen anderen Städten zu beobachten. Überall dort erhalten die meisten Mietwagen ihre Fahrten hauptsächlich über die Uber- und die Free-Now-App und führen somit taxiähnlichen Verkehr aus – meist unter Missachtung sowohl der Rückkehrpflicht als auch diverser arbeits- und sozialrechtlicher Vorschriften, ganz zu schweigen von der Straßenverkehrsordnung, denn Mietwagen dürfen im Unterschied zu Taxis nicht in zweiter Reihe halten. Dies zu kontrollieren, ist für die zuständigen Behörden nahezu unmöglich. In Berlin beispielsweise wurden gerade einmal acht (!) Bußgelder im gesamten Jahr 2020 gegenüber Mietwagenunternehmen ausgesprochen. Da stellt sich nun die Frage nach einem Plan B: Ließe sich die Mietwagenschwemme durch striktere Vorgaben bei den Konzessionsanträgen eindämmen, indem man beispielsweise schon bei der Antragstellung eines Mietwagenbetriebs eine Gründungskalkulation sowie eine Ertrags- und Kostenvorschau vorschreibt? FEHLENDE RECHTSGRUNDLAGE? Viele Behörden reden sich damit raus, dass dafür keine Rechtsgrundlage vorhanden sei. In Berlin beispielsweise äußert sich das zuständige Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten (LABO) folgendermaßen: „Als Nachweis der verfügbaren Mittel ist i. d. R. eine Eigenkapitalbescheinigung oder eine Vermögensübersicht ausreichend, die z. B. von einem Steuerberater oder einem Wirtschaftsprüfer zu bestätigen ist.“ Im Widerspruch zu dieser Theorie steht nun aber das, was in Hamburg Über 4.500 Mietwagen kreisen mittlerweile in Berlin umher und nehmen sich dabei dieselben Rechte heraus, die eigentlich nur den Taxis zustehen. seit über einem Jahr bereits unangefochtene Praxis ist: Die dortige Gewerbeaufsicht stimmt Neuanträgen für Mietwagenkonzessionen nur zu, wenn der Unternehmer unter anderem eine Gründungskalkulation sowie eine Ertrags- und Kostenvorschau vorlegt. Das Konzept hat Erfolg, der Anteil der Mietwagen liegt unter zehn Prozent, obwohl Free Now und Uber auch in Hamburg aktiv sind. Hamburgs Behörde betont auf Nachfrage von Taxi Times, dass man sich auf ein Prüfungsrecht zur Plausibilitätskontrolle berufe, das sich aus Paragraf 2 Abs. 4 der Berufszugangsverordnung für den Straßenpersonenverkehr (PBZugV) ableiten lasse. Rechtlich abgesichert ist diese Deutung unter anderem durch ein Urteil des Oberverwaltungsgerichts (OVG) Rheinland-Pfalz vom 17. Juni 2019. Dort heißt es: „Es trifft auch nicht zu, dass die Genehmigungsbehörde grundsätzlich und gleichfalls in jedem Fall den Nachweis der finanziellen Leistungsfähigkeit durch Vorlage einer Eigenkapitalbescheinigung zu akzeptieren hat. Dies gilt nur für die Fälle, in denen es sich bei dieser auch um den gesetzlich geforderten Nachweis handelt, der zudem vollständig und im Übrigen auch plausibel ausgefüllt worden ist.“ Als noch relevanter stuft Hamburgs Behörde jedoch den Paragrafen 2 Abs. 1 Satz 1 der PBZugV ein: „Die finanzielle Leistungsfähigkeit im Sinne des § 13 Abs. 1 Nr. 1 des Personenbeförderungsgesetzes ist als gewährleistet anzusehen, wenn die finanziellen Mittel verfügbar sind, die zur Aufnahme und ordnungsgemäßen Führung des Betriebes erforderlich sind. Somit reiche es aus Hamburger Sicht also nicht aus, lediglich zum Zeitpunkt der Aufnahme des Betriebs das erforderliche Kapital vorzuhalten und finanziell leistungsfähig zu sein, sondern dies müsse auch während der Führung des Betriebs sichergestellt werden. Auch das wurde juristisch bereits klargestellt: „Mit der Vorlage von Bargeld könne der Kläger nicht belegen, dass er über das erforderliche Vermögen verfüge, denn dies zeige nur eine FOTOS: Axel Rühle, Taxi Times 10 1. QUARTAL 2021 TAXI

RECHT DER PRAKTIKANT IM MIETWAGEN punktuelle Verfügungsbefugnis. Anders als etwa ein Bankkonto, dessen Verlauf nachweisbar sei, ermögliche Bargeld nicht die aufgrund eines in der Vergangenheit stets vorhandenen Vermögens gestützte Prognose, dass dieses Geld auch in Zukunft zur Verfügung stehe. […] Die Behörde sei nicht an die nach § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 PBZugV vom Antragsteller vorzulegenden Bescheinigungen (Eigenkapitalbescheinigung oder Vermögensübersicht) gebunden, sondern dürfe deren Richtigkeit und Verlässlichkeit selbst prüfen und sich ggf. darüber hinwegsetzen.“ (Zitat aus OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 16. Juni 2016 – OVG 1 N 54.15) Die im oberen Beitrag angesprochenen täglichen Verstöße sowohl gegen die Rückkehrpflicht als auch gegen sozialversicherungsrechtliche Vorschriften sind keine Einzelfälle, sondern das Ergebnis eines systematisch angelegten Betrugs. Das macht ein Interview mit einem Berliner Ex-Mietwagenfahrer deutlich, das im Februar zeitgleich in den beiden Taxi Times-Regionalausgaben Berlin und München erschienen ist. Darin schildert der Aussteiger, welche „Tipps“ er von seinem Mietwagenunternehmer mitbekommen hat, um die Rückkehrpflicht sowohl bei Uber als auch bei Free Now zu umgehen. Er selbst, so berichtet er, sei als Alleinfahrer im Status eines Praktikanten beschäftigt worden, wobei man sich ganz besonders dafür interessiert habe, ob und welche staatlichen Unterstützungen er denn erhalte. PRÜFPFLICHT DER BEHÖRDE Hamburg vertritt folglich die Auffassung, dass eine Genehmigungsbehörde die Pflicht habe zu prüfen, ob die finanzielle Leistungsfähigkeit dauerhaft während der Führung des Betriebs mit hoher Wahrscheinlichkeit gegeben ist. Daran bestehen insbesondere dann Zweifel, wenn die Markt-, Nachfrageund Erlössituation und die Kosten im Rahmen der Betriebsführung in einem Verhältnis zueinander stehen können, welches das erforderliche Eigenkapital erheblich reduziert. Der Antragsteller hat dann plausibel und nachvollziehbar darzustellen, wie eine eigenkapitalerhaltende Betriebsführung sichergestellt werden kann, auch um auszuschließen, dass nach Aufnahme des Betriebs die Instandhaltung des Fuhrparks und die Einhaltung der Abgabe- und Sozial vorschriften gefährdet sind. All dies klingt sehr einfach und einleuchtend und es verstärkt den Eindruck, Das komplette Interview können Sie über den abgebildeten QR-Code nachlesen. dass anderen Behörden entweder der Wille oder die rechtliche Kompetenz fehlt, härter durchzugreifen. Dies ist umso bedauerlicher, weil nahezu alle Städte sich intensiv darum bemühen, den innerstädtischen Verkehr klimaschonender zu gestalten. Lokalpolitiker, die vermeiden wollen, dass immer mehr zusätzliche Fahrzeuge (Mietwagen) in den (Innen-)Städten kreisen, sollten ihre zuständige Genehmigungsbehörde zu einem mutigeren Durchgreifen motivieren. jh Wir danken allen Vertragspartnern, Taxiunternehmern und -fahrern für ihr Durchhaltevermögen in dieser besonders herausfordernden Zeit. Wir sind auch weiterhin für Sie da. www.seibtundstraub.de

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