EUROPÄISCHE UNION DAS DAMOKLESSCHWERT FÜR TAXIZENTRALEN Die Europäische Union will arbeits- und sozialrechtliche Regelungen für Plattformarbeitende definieren. Ein erster Gesetzentwurf könnte dabei dazu führen, dass nicht nur Uber-Fahrer als Scheinselbstständige eingestuft werden, sondern auch die Mitglieder von Taxizentralen. Dieses Damoklesschwert, das hier eventuell über den Taxizentralen schwebt, wurde im Mai während einer Taxiveranstaltung in Köln thematisiert. Dorthin hatte der Bundesverband Taxi und Mietwagen (BVTM) im Rahmen seiner gemeinsam mit der Deutschen Telekom ins Leben gerufenen Veranstaltungsreihe „Taxi Driving Innovation“ eingeladen und dabei das Thema Regulierung auf europäischer Ebene in den Fokus gerückt. In zwei Gesprächsrunden wurde mit Vertretern der EU und Experten über zwei Vorschläge aus der EU diskutiert. Einer davon wurde im Dezember 2021 in Form eines Gesetzentwurfes präsentiert, der andere im Februar von der EU-Kommission als unverbindliche Leitlinie veröffentlicht (zu Letzterem siehe auch S. 18). Der Gesetzentwurf vom 9. Dezember 2021 der Europäischen Union soll die arbeits- und sozialrechtliche Einstufung jener Arbeitenden definieren, die für digitale Plattformen tätig sind. Das Ziel ist, rund 5,5 Millionen Scheinselbstständige vor Ausbeutung zu schützen. Seit der Veröffentlichung wird in Brüssel über den Entwurf verhandelt. Der BVTM ist dazu mit EU-Politikern im Gespräch und hatte dazu in Köln eine Diskussionsrunde mit Experten durchgeführt. Live vor Ort waren Prof. Dr. Steffen Roth vom Institut für Wirtschaftspolitik an der Universität zu Köln, Rechtsanwalt Herwig Kollar, Präsident des BVTM, sowie Rechtsanwalt Dr. Thomas Bezani von der Wirtschaftskanzlei Görg. Online war Tobias Müllensiefen von der EU-Kommission zugeschaltet. Letzterer stellte den Gesetzentwurf vor, nannte die Hintergründe und präsentierte beeindruckende Zahlen. Aktuell seien EU-weit 500 Unternehmen als digitale Plattformen identifiziert, für die 28 Millionen Menschen Plattformarbeit leisten. 92 Prozent dieser Unternehmen arbeiten mit Selbstständigen, von denen wiederum 5,5 Millionen als Scheinselbstständige eingestuft werden müssten. 55 Prozent der Plattformarbeiter verdienen weniger als den Mindestlohn. Man habe bei Erhebungen zudem festgestellt, dass viele Arbeitende rund neun Stunden pro Woche damit verbringen, „Arbeit zu suchen“. Dazu zählt auch die Zeit, in der beispielsweise Fahrer für Uber und Free Now auf die nächste Fahrt warten. „In 12 Mitgliedstaaten der EU gibt es 120 Gerichtsentscheidungen zum Thema Beschäftigtenstatus bei Plattformarbeitenden“, berichtete Müllensiefen. „In vielen Fällen wurde Scheinselbstständigkeit festgestellt.“ All das führe zu einer Rechtsunsicherheit, und dieses Problem wolle man mit dem Entwurf angehen, der nun im EU-Parlament und im Rat beraten wird und bei dem laut Müllensiefen sicherlich noch Änderungen vorgenommen werden. 20 MILLIARDEN EURO UMSATZ Dass solche Verbesserungen nötig sind, wurde während der anschließenden Diskussion deutlich, an der sich auf dem Podium der TDI ein Ökonom (Roth), ein Taxi-Experte (Kollar) sowie ein Arbeitsrechtsspezialist (Bezani) beteiligten. Prof. Dr. Roth richtete dabei den Blick auf die gesamte Plattformwirtschaft und relativier- Moderatorin Nina Nagel diskutierte mit Steffen Roth, Herwig Kollar sowie mit Dr. Thomas Bezani (v. l.). Tobias Müllensiefen von der EU- Kommission war per Videostream zugeschaltet. FOTOS: Taxi Times, freepik.com / Montage: Raufeld 6 2. QUARTAL 2022 TAXI
EUROPÄISCHE UNION ein, dass es sich bei den Mitarbeitenden der Plattform um Scheinselbstständige handelt. Eine Widerlegung dieser Vermutung ist auf der Basis des nationalen Arbeitnehmerbegriffs durchaus möglich, die Beweislast liegt dann aber bei der Plattform. Genau diese fünf Kriterien seien für die klassischen Taxizentralen brandgefährlich, denn es werde nicht zwischen Uber und Taxizentralen differenziert, warnte Thomas Bezani. „Drei der fünf Kriterien erfüllen auch Taxizentralen, und sie fallen damit nach heutigem Stand unter die Vermutungswirkung“, sagt Bezani. Er meinte damit sowohl das Kriterium, dass eine kommerzielle Dienstleistung auf elektronischem Weg angeboten wird, als auch die Tatsache, dass diese auf Verlangen des Empfängers erbracht wird. Ebenso wie die Definition, dass die Fahrten durch eine Plattform organisiert werden. te deren Wachstumszahlen. Die 28 Millionen Plattformarbeiter würden zusammen einen Umsatz von 20 Milliarden Euro machen. Heruntergerechnet auf die einzelne Person entspräche das einem Umsatz von 60 Euro pro Mitarbeiter im Monat. Roth warnte, dass zu strikte arbeits- und sozialrechtliche Vorgaben das unmittelbare Aus für viele kleine Plattformen zur Folge hätten. Sein Vorschlag ging daher in die Richtung, Geringfügigkeitsschwellen für die Scheinselbstständigen oder geringfügig beschäftigten Arbeitnehmer einzuführen – analog zu den Geringfügigkeitsgrenzen, die man im Bereich der Lohnsteuer eingeführt hat. Herwig Kollar wollte sich mit der ökonomischen Zahleninterpretation indes nicht zufriedengeben. Er hielt dagegen, dass fünf der 500 genannten Plattformen mehr als die Hälfte der Vergütungszahlungen für die 28 Millionen Plattformarbeiter übernehmen. Unter diesen fünf Unternehmen stünde Uber auf Platz 1 und Uber Eats auf Platz 2. Die EU solle daher keine Regelung für die 500 Plattformen und für die Plattformarbeiter mit 60 Euro Monatsumsatz aufstellen, sondern sich auf diese Art von Plattformen konzentrieren. Was Kollar hier ansprach, deckt sich mit der Zielsetzung des Gesetzentwurfes: einer Verbesserung der Arbeitsbedingungen der Plattformarbeitenden. Die EU will dafür unter anderem eine „rechtliche Vermutung“ für Arbeitsverhältnisse für gewisse Arbeitsplattformen ermöglichen. Dafür wurden fünf Kriterien aufgestellt. Sind nur zwei davon erfüllt, tritt die rechtliche Vermutungswirkung UNZULÄSSIGE ARBEITNEHMERÜBERLASSUNG Somit gibt es nicht nur für den soloselbstständigen Taxiunternehmer ein Problem, sondern auch für das Fahrpersonal der Mehrwagenunternehmer, weil auch das arbeitsrechtlich als Arbeitnehmer der Taxizentrale gesehen wird und der Mehrwagenunternehmer mit dem Vorwurf einer Ordnungswidrigkeit rechnen muss, weil er eine unzulässige Arbeitnehmerüberlassung betrieben hat. „Daher bedarf es einer Präzisierung der Richtlinien“, zieht Bezani ein klares Fazit. „So wie es jetzt gestrickt ist, wird es für das Taxigewerbe große Probleme auslösen.“ Kollar stimmte dem im Prinzip zu, verweist aber darauf, dass es bereits einschlägige juristische Bewertungen über die Klassifizierung einer Taxizentrale gibt. Taxizentralen seien vielerorts eine Selbsthilfeorganisation in Form einer Genossenschaft, die für anerkannt selbstständige Taxiunternehmen eine Auftragsvermittlung tätigt. Es könne nicht gewünscht sein, dass solche kleinen, lokalen Selbsthilfeorganisationen auf einmal in Arbeitgeberpflichten gedrängt würden. „Das würde sie vom Markt verdrängen – zugunsten von großen, international tätigen Plattformen“, sagte Kollar. Sein Lösungsvorschlag lautet daher, Größenklassifizierungen einzuführen. Nur wer eine signifikant hohe Anzahl an Teilnehmern aufweist, müsste unter diese Vermutungswirkung fallen. „Damit würde man genau die Plattformen treffen, die das Gros der Probleme verursachen und die andererseits die ökonomischen Mittel hätten, um damit umgehen zu können.“ Kollar appellierte in seinem Schlusssatz der Diskussionsrunde an die Verantwortlichen in Brüssel, darüber nochmals intensiv nachzudenken. jh Gesetzentwurf zur Regulierung der Plattformarbeit. WIR SIND WEITERHIN IHR VERLÄSSLICHER PARTNER! www.taxifahrzeuge.de TAXI 2. QUARTAL 2022 7
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