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Taxi Times DACH - 3. Quartal 2021

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KRANKENFAHRTEN AOK PROBT

KRANKENFAHRTEN AOK PROBT »KRANKEN- FAHRTEN ON DEMAND« MEETING POINT DIALYSE BESTRAHLUNG Gemeinsam mit door2door, einem Spezialisten für On-Demand-Ridepooling, tüftelt die AOK Bayern aktuell an einem On-Demand-Ridepooling-Projekt zur Effizienzsteigerung von Krankenfahrten. Die Basis für das im Herbst geplante Projekt ist laut einer Pressemitteilung von door2door eine Nachfrageerhebung unter Dialyse- und anderen Patienten, die aktuell durchgeführt wird. In wissenschaftlich begleiteten Interviews werden die Gruppen nach ihren Ansprüchen an ihre individuellen Krankenfahrten befragt. „Die Befragungen finden unter anderem in Oberbayern statt, wo mit omobi bereits ein Partner von door2door »Ich bin gespannt auf mögliche Erkenntnisse für die Regelversorgung in Deutschland.« Jens Spahn, (noch) amtierender Bundesgesundheitsminister On-Demand-Ridepooling im Nahverkehr anbietet“, heißt es in der Pressemeldung. Außerdem wird es im Rahmen einer mehrmonatigen Machbarkeitsstudie auch einen achtwöchigen Praxistest geben. Die Bedeutung dieser Kooperation zeige sich auch in der Unterstützung durch das Gesundheitsministerium. „Projekte wie das zwischen der AOK und door2door leisten einen wertvollen Beitrag zur Digitalisierung des Gesundheitswesens in unserem Land. Ich bin gespannt auf mögliche Erkenntnisse für die Regelversorgung in Deutschland“, äußerte sich Gesundheitsminister Jens Spahn. Die Projektbeteiligten nennen ehrgeizige Ziele: „Beginnend bei der Digitalisierung der Planung, Buchung, Durchführung von Fahrten erhöht sich die Verlässlichkeit für die Patienten, zudem reduziert sich für diese der persönliche Aufwand, aber auch der für die Krankenkassen und Fahrtenanbieter.“ Mit der Automatisierung der Sammelfahrten werde zudem durch die bessere Auslastung der Fahrzeuge die Produktivität bei gleicher Flottengröße erhöht. Aktuell wird ein Großteil der Krankenfahrten speziell zur Dialyse oder zu Bestrahlungen von Taxis und Mietwagen durchgeführt, viele davon als Sammelfahrten mit mehreren Patienten. Das hier angekündigte Ride-Pooling-Projekt könnte allerdings eine Fahrtenverschiebung hin zum öffentlichen Nahverkehr einleiten. Die Projektbeteiligten sprechen von einer Verknüpfung der Fahrten mit Nahverkehrsangeboten der Region, „um so mit weniger Fahrzeugen mehr Fahrtwünsche zu erfüllen“. Dass es der AOK dabei hauptsächlich um Kostensenkung geht, macht das Zitat von Maxim Nohroudi deutlich. Der Co-Gründer und Geschäftsführer von door2door hält es für denkbar, „dass zukünftig für Krankenfahrten im komfortablen Kleinbus nur noch ein ,Nahverkehrsticket‘ gelöst werden muss“. Das sei gut für die Umwelt und den Geldbeutel der Versicherten und Krankenkassen. jh SO STEHT ES IM GESETZ § 7 Krankenfahrten: (3) „Die Krankenfahrt mit einem Mietwagen oder einem Taxi ist nur dann zu verordnen, wenn die Patientin oder der Patient aus zwingenden medizinischen Gründen öffentliche Verkehrsmittel oder ein privates Kraftfahrzeug nicht benutzen kann.“ Aus: Richtlinie über die Verordnung von Krankenfahrten, Krankentransportleistungen und Rettungsfahrten nach § 92, Absatz 1, Satz 2, Nummer 12, SGB FOTOS: Pixabay, BMG 16 3. QUARTAL / OKTOBER 2021 TAXI

KRANKENFAHRTEN DER IRRGLAUBE MIT DER BORDSTEIN- KANTE Die Pläne der AOK, mithilfe einer App Krankenfahrten »on demand« zu digitalisieren, sind praxisfremd und teilweise rechtswidrig. FOTOS: Pixabay, ARZ Was für eine Nachricht: Die AOK arbeitet an einer Möglichkeit, Patientenfahrten zu digitalisieren. Schon der Begriff deutet auf eine geänderte Wahrnehmung hin: Patientenfahrten impliziert, dass es sich hier also gar nicht mehr um kranke Menschen handelt, die zur Dialyse oder zur Bestrahlung müssen, sondern um „Patienten“. Dabei ist gerade hier der elementare Unterschied: Der zu befördernde Patient ist in der theoretischen Praxis der Kasse jemand, den man lediglich von der Bordsteinkante des Einstiegs zur Bordsteinkante des Ausstiegs zu transportieren hat. Der Kranke ist derjenige, der geschwächt ist, deshalb an der Wohnungstüre abgeholt werden muss und oft genug auch in der Dialysestation bis zum Gerät begleitet wird. FÜR LANGE FAHRTEN ZU GESCHWÄCHT Zusätzlich ist den Patienten auch eine längere „gepoolte“ Fahrstrecke wegen ihres Befindens kaum möglich. Bevor diese dialysiert werden, sind diese Menschen geschwächt durch die in ihrem Körper befindlichen Giftstoffe und Flüssigkeitsansammlungen, die nicht mehr ausgeschieden werden können. Nach der Dialyse, bei der immerhin ein Gewichtsunterschied zwischen durchschnittlich 3 bis 5 Kilo abgebaut wird, sind diese Menschen ebenfalls geschwächt und ihr Kreislauf stark belastet. Fazit: Es ist ein Irrglaube der Krankenkassen, dass „Patientenfahrten“ vergleichbar mit Fahrten des Gelegenheitsverkehrs von Bordsteinkante zu Bordsteinkante durchgeführt werden. Wenn man die Ankündigung der beiden Kooperationspartner door2door und AOK zwischen den Zeilen liest, handelt es sich um eine im Bereich Bayern befindliche AOK, die jetzt schon nur Tarife in ihre Verträge packt, mit denen sich ein wirtschaftliches, steuer- und sozialversicherungsrechtliches ordnungsgemäßes Fahren nicht finanzieren lässt. Nun kommt man auch noch auf die Idee, das zum Nahverkehrstarif machen zu wollen. Gibt es dann auch die Fördergelder, die der Nahverkehr erhält (und sich trotzdem in der Verlustzone befindet)? Taxi- und Mietwagenunternehmer müssen mit ihrem Umsatz die Kosten und den eigenen Lebensunterhalt inklusive ihrer Altersversorgung erwirtschaften. Hier handelt es sich nicht um Millionäre, die Billigpreise durch monatliches Sponsoring von Leuten, die nicht wissen, wohin mit ihrem Geld, finanzieren. Der (gewerkschaftliche) Slogan „Faire Löhne für faire Arbeit“ darf durchaus auch für mittelständische Unternehmer angewandt werden. Aber das scheint nicht zu zählen. Hauptsache, man ist modern (Pooling) und spart auf dem Rücken der vielen Kleinunternehmer, die seit Jahrzehnten eine beachtenswerte Logistik aufgebaut haben, um kranke Menschen ihren Bedürfnissen entsprechend zu und von den Behandlungen zu fahren. Jene Unternehmen und ihre Fahrer tragen damit auch dazu bei, dass Termine in Praxen und Krankenhäusern optimal genutzt werden konnten. DIESES POOLING IST BUSVERKEHR Neben der gesellschaftspolitischen, sozialen, moralischen und wirtschaftlichen Frage ist bei dieser geplanten Digitalisierung aber auch die rechtliche Grundlage zu betrachten. Hier wäre zur Klarstellung die Frage zu stellen: Was sind das für „Patientenfahrten“? Sind das die Menschen, die noch mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren können? Für diese übernimmt die Krankenkasse sowieso keine Taxi- bzw. Mietwagenkosten. Das softwarebasierte Pooling wäre dem Busverkehr gleichwertig und somit laut § 60 des Fünften Sozialgesetzbuches (SGB V) und den dazugehörenden Richtlinien § 7 Abs. 3 keine Krankenfahrt (siehe nebenstehender Kasten). Einen kranken Patienten „digitalisiert“ zu einer On-Demand-Haltestelle zu schicken und ihn dort dann auch noch mit einem linienbusähnlichen Verkehr zu befördern, wäre gleichzusetzen mit der Verweigerung der dem Patienten zustehenden Krankenfahrt. Wenn man bedenkt, dass es sich bei den Gesamtkosten für Krankenfahrten lediglich um 0,05 Prozent des Gesamtausgabenvolumens einer Krankenkasse handelt, ist es ein starkes Stück, dass man in diesem Promillebereich nun unter dem Deckmantel einer Digitalisierung noch mehr Geld einsparen will. gs GISELA SPITZLEI war von 1974 bis 2005 Taxiunternehmerin und steht seit 1980 dem Abrechnungszentrum Spitzlei vor. Gewerbepolitisch engagiert sie sich seit 1974 und seit den 1990er-Jahren ist sie im Fachausschuss Krankenfahrten des Bundesverbands BVTM, seit 1999 als dessen Vorsitzende. TAXI 3. QUARTAL / OKTOBER 2021 17

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