QUALITÄT FRAKTIONSVORSITZENDER BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN CEM ÖZDEMIR »NEHMEN SIE MICH ALS KRONZEUGEN« Cem Özdemir machte zu Jahresbeginn Schlagzeilen, als er nach mehreren negativen Erfahrungen erklärte, in Berlin nicht mehr Taxi fahren zu wollen. Im Interview mit Taxi Times erläutert er die Hintergründe, spricht über die Folgen und verspricht politische Unterstützung. Taxi Times: Herr Özdemir, können Sie sich noch an meinen Redaktionskollegen erinnern? Er hat Sie mal gefahren und sich prima mit Ihnen unterhalten. Cem Özdemir: Nein, das weiß ich leider nicht mehr. Die normalen Erlebnisse sind schnell wieder aus dem Gedächtnis … ? Andere sind mir dafür in Erinnerung geblieben. Ich saß vor vielen Jahren einmal in Berlin zusammen mit Yaşar Kemal, dem leider verstorbenen Schriftsteller, in einem Taxi. Der Taxifahrer mischte sich immer wieder mit Anekdoten aus seinem Leben in unser Gespräch ein. Schließlich sagte Yaşar Kemal: Weißt du was, Cem, der Interessanteste in diesem Wagen bist nicht du, bin nicht ich, das ist der Taxifahrer. Das war vor vielen, vielen Jahren. Der Taxifahrer von damals ist mittlerweile einer meiner besten Freunde und mein Nachbar in Kreuzberg. In Taxis habe ich also schon viel Großartiges erlebt. Bis zur Armenien-Resolution … Bis dahin hatte ich nie irgendwelche Probleme. Nach der Armenien-Resolution wurde es anders, aber das lag nicht an der Mehrheit der Taxifahrer, sondern an einem kleinen Teil, der nicht nur einfach unhöflich war, sondern teilweise richtig aggressiv und beleidigend. Mir geht es nicht darum, dass man einer Meinung sein muss, aber dass man respektvoll mit seinen Fahrgästen umgeht. Stattdessen wurden Sie beschimpft, worüber Sie sich dann auch beschwert haben. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich schon meine Konsequenz gezogen und aufs Taxifahren verzichtet. Was war dann ausschlag gebend? Der Journalist Can Dündar, der hier im Exil ist. Er sagte zu mir: „Ich bekomme einen Preis nach dem anderen und werde zu allen möglichen Anlässen eingeladen. Aber habt ihr euch schon mal gefragt, wie ich da hin- und wieder zurückkomme? Jedes Mal muss ich hoffen, dass ich nicht auf einen Taxifahrer stoße, der die Fahrt ablehnt oder mich die ganze Fahrt über beschimpft. Er fühlte sich in Berliner Taxis unsicherer als in Istanbulern. Da dachte ich mir: „Jetzt reicht’s! Darüber muss man reden.“ Sie haben sich dann mit einem Brief kurz vor Weihnachten bei zwei Berliner Verbänden beschwert. Medial aufgekocht ist es aber erst im Januar. Vom Naturell her finde ich, man schreibt erst mal einen Brief, bevor man an die Presse geht, und wartet eine Antwort ab. Als die nicht kam, habe ich das bei Journalisten erwähnt. „Die Welt“ hat es dann als Erstes aufgegriffen. Waren Sie vom Medienecho überrascht? Ja, von dem Echo war ich sehr überrascht. Aber es hat wohl einen Nerv getroffen, weil sich viele gefragt haben: Wieso nutzen manche hier die Vorzüge der Demokratie und unterstützen woanders jemanden, der eine Diktatur errichten möchte? Das löst ja Fragezeichen aus. Das Interview mit Cem Özdemir führten Taxi Times Herausgeber Jürgen Hartmann und Redakteur Hayrettin Şimşek (rechts). Es gibt den Spruch: Wenn ich des Volkes Meinung hören will, dann fahre ich Taxi. Da haben Sie völlig recht, Taxifahrer sind wie ein Pulsmesser dafür, wie die Stimmung ist. Insofern ist das Taxifahren mit Sicherheit ein Beitrag dazu, dass man seine Wahrnehmung schärft. Deshalb freue ich mich ja jetzt auch, das ich wieder beruhigt Taxi fahren kann. FOTO: Taxi Times 14 MAI / 2017 TAXI
QUALITÄT FOTO: Die Grünen Sie fahren jetzt wieder, weil … … ich mittlerweile mit den Berliner Taxiverbänden und der Zentrale ein sehr hilfreiches Treffen hatte. Ich winke kein Taxi auf der Straße mehr herbei, sondern bestelle nur noch telefonisch. So könnte ich, wenn es zu einem Zwischenfall kommt, über die Zentrale den Taxifahrer ermitteln. Die Mitarbeiter der Taxizentrale haben mir sofort zu verstehen gegeben, dass sie mein Problem verstehen und lösen wollen und wir gemeinsam agieren müssen. Gemeinsam? Eine Taxizentrale hat ja auch ein Interesse daran, herauszufinden, wer die schwarzen Schafe sind, die den Ruf der anderen Taxifahrer schädigen. Das können sie aber nur machen, indem wir als Kunden die melden, die sich nicht an die Regeln halten. Und so ist es besser, als den Ärger runterzuschlucken. Davon kriegt man nur ein Magengeschwür. Notwendige Sanktionierungen beruhen auf einem Rechtsrahmen. Hier ist das Taxigewerbe sehr komplex strukturiert. Das habe ich in den Gesprächen mit den Taxiverbänden gelernt, das war mir ehrlich gesagt vorher nicht bewusst. Als Kunde setzte ich mich doch eigentlich nur in ein Taxi rein und es ist wunderbar. Mich hat sehr beeindruckt, wie sehr sich die Branche in puncto Qualitätsmanagement selber bemüht. Zur Durchsetzung von Qualitätsmaßnahmen hilft politische Unterstützung. Das Taxigewerbe hat vor Jahren eine kleine Sach- und Fachkunde angeregt. Das unterstütze ich vollen Herzens. Wenn es einen Kronzeugen dafür braucht: Nehmen Sie mich. Durch die Einblicke, die ich jetzt bekommen habe, ist es offensichtlich: Es reicht nicht zu wissen, wo das Brandenburger Tor und der Reichstag sind. Gerade wenn man nicht will, dass wegen weniger auf die ganze Branche ein Schatten fällt, ist es wichtig, dass die Verbände eine Möglichkeit haben, entsprechend dafür zu sorgen, dass es neben der Ortskenntnis auch diese weitere Ausbildung gibt. Im Falle einer möglichen Regierungsbeteiligung der Grünen nach der Wahl: Reden Sie dann bei den Taxithemen mit? Da habe ich ein offenes Ohr dafür, weil ich nun aus eigener Anschauung mitbekommen habe, dass eine Regulierung zum Wohle der Mehrheit notwendig ist. Lassen Sie uns ein typisch grünes Thema ansprechen. Fordert Ihre Partei ein Dieselverbot? Als Politiker haben wir die Aufgabe, die Leitplanken so zu setzen, dass die richtigen Anreize für die Automobilhersteller bestehen: Vorgaben als Innovationsmotor. In meinem Wahlkreis in Stuttgart ist das Problem, dass dort die vorgeschriebenen Feinstaub- und NOx- Grenzwerte nicht eingehalten werden. Hintergrund ist, dass die Bundesregierung realitätsechte Tests verschleppt hat, die Blaue Plakette blockiert und bis heute eine Vogel-Strauß-Taktik verfolgt und den Kopf in den Sand steckt. Mein Ziel sind drei Dinge: Ich will die Jobs der Automobilindustrie erhalten. Dafür brauchen wir langfristig ein abgasfreies Auto mit emissionsfreiem Antrieb. Ich will den Komfort und die Freiheit, dass man mit den Mitteln seiner Wahl von A nach B kommt. Ich will aber auch, dass die Leute gesunde Luft atmen und vom Feinstaub befreit werden. Geben Sie uns doch mal ein Wahlversprechen. Eines kann ich Ihnen versprechen: Wenn der nächste Verkehrsminister von uns Grünen käme, wäre dessen Hauptthema nicht mehr eine absurde Maut, sondern dessen Hauptprojekt wäre, für eine intelligente Mobilität zu sorgen. Ein optimales Zusammenspiel verschiedener Verkehrsmittel: vom Fahrrad, von Autos, von öffentlichen Verkehrsmitteln, von Fußgängern. Dazu gehört eben auch, dass wir beim Verkehr in Richtung CO2-Reduktion gehen und unsere deutschen Automobilbauer Technikvorreiter dafür werden. Wo sehen Sie hier das Taxi? Für mich ist Taxi auch Teil des öffentlichen Verkehrs. Das spielt dort eine ganz zentrale Rolle. Genauso wie andere Verkehrsmittel. Das Schöne ist ja, wenn ich meine App nutze, um zu sehen, ob ich Car2Go oder einen anderen Anbieter nutze, ob ich mit dem Zug oder mit dem Bus fahre, ob ich zu Fuß laufe, dann kann ich auch das Taxi wählen. So muss es eigentlich sein. Ich nehme das Verkehrsmittel, mit dem ich in dem Moment am besten, am komfortabelsten und am günstigsten von A nach B komme, und da ist das Taxi ein integraler Bestandteil davon. Herr Özdemir, vielen Dank für das Interview. TAXI MAI / 2017 15
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