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Taxi Times DACH - November 2017

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PERSONEN PERSONEN

PERSONEN PERSONEN MEHMETS WEG ZURÜCK INS LEBEN In einer Nacht im Mai rast jemand in das Taxi des Hamburger Kollegen Mehmet Yilmaz. Ein Fahrgast stirbt, er selber wird schwer verletzt. Wie geht es ihm seither? Aus diesem Wrack konnte die Feuerwehr zwei Insassen lebend bergen. Ein Fahrgast erlag seinen schweren verletzungen. Es ist früher Morgen, 4. Mai. Ein Donnerstag. Der Kollege Mehmet Yilmaz fährt auf eine Kreuzung zu. Er hat Grün. Plötzlich kommt ihm ein anderes Taxi entgegen und rast in sein Fahrzeug. Schnell wird sich herausstellen, dass der Fahrer das Taxi gestohlen hatte und vor der Polizei auf der Flucht war. Mehmet bekommt das alles schon gar nicht mehr mit. Er wird sich an den Unfall nur noch bruchstückhaft erinnern können (siehe nebenstehenden Kasten). Ein Gutachten wird später ermitteln, dass der Autodieb mit 145 km/h in ihn reingerast ist. Die Autos werden in Sekundenbruchteilen zu Knäueln aus Blech, Glas und Kunststoff, die meterweit über die mehrspurige Hauptstraße geschleudert werden. Ihre Trümmer verteilen sich im weiten Umkreis. Die Feuerwehr muss die Wracks aufschneiden, damit Rettungssanitäter und Notärzte an die eingeklemmten Insassen kommen. Mehmet wird ins Koma versetzt und schwer verletzt ins Krankenhaus eingeliefert. Bei einem von den beiden Fahrgästen Mehmets kann nur noch der Tod festgestellt werden. Der zweite Fahrgast und der Unfallverursacher können lebend geborgen werden. Um den 24-jährigen Litauer aus dem gestohlenen Taxi zu bergen, schneidet die Feuerwehr das Dach des Kombis ab. Er kommt unter Bewachung auf die Intensivstation und dann, sobald sein Zustand stabil ist, auf die Krankenstation des Untersuchungsgefängnisses. Gegen ihn wird wegen fahrlässiger Tötung ermittelt. 48 STUNDEN IM KOMA Die Ärzte diagnostizieren bei Mehmet eine Schädelfraktur der linken Augenhöhle, vier gebrochene Lendenwirbel, einen Trümmerbruch des Beckens, komplizierte Brüche an Elle und Speiche des rechten Unterarms, FOTOS: Mehmet Yilmaz drei gebrochenen Rippen rechts, zwei links und mehrere Bänderrisse im rechten Knie. Das Koma dauert fast 48 Stunden. Erst als er sich nach einer Woche wieder zum Sitzen aufrichten kann, stellen die Ärzte fest, dass außerdem sein linker Fuß gebrochen ist. In den ersten Tagen nach dem Unfall wird der Bruch der Augenhöhle operiert und die Brüche des rechten Unterarms. Er bekommt Metallplatten in Arm und Hand, die mit den Knochen verschraubt werden. Er wird sie sein Leben lang behalten. Es folgt die Operation des linken Fußes. Auch hier werden Metallplatten eingesetzt, die aber später, in einer dritten OP, wieder entfernt werden. Mehmet braucht in dieser Zeit einen Rollstuhl. Nach der Entlassung benötigt er Krankenbett, Rollstuhl und Hilfsmittel zu Hause. Ende August folgt die OP des rechten Knies. Danach medizinisches Training, das ihn allmählich befähigen soll, sich ohne Rollstuhl oder Krücken fortzubewegen. Jetzt – fünf Monate später – kommt durch das Training der Rehamaßnahmen auch langsam wieder die Beweglichkeit der rechten Hand zurück. FAMILIE VERLIERT DIE EXISTENZGRUNDLAGE Von einen Tag auf den anderen verliert die siebenköpfige Familie ihre Existenzgrundlage. Zusammen mit dem einzigen Angestellten des Familienunternehmens erwirtschafteten sie „mehr als 10 000 Euro Umsatz“ im Monat. Mehmet, studierter Diplom-Ingenieur für Maschinenbau, arbeitete sieben Nachtschichten die Woche, um seinen Kindern eine gute Ausbildung zu finanzieren, das Haus und das Taxi abzubezahlen – und für einen Jahresurlaub. Der Stolz auf seine Kinder ist unüberhörbar. Seine Kinder leben zu Hause, so auch der älteste Sohn nach seiner Scheidung. Vier seiner Kinder sind finanziell von ihm abhängig, sein zehnjähriger Sohn geht auf das Gymnasium, zwei Kinder studieren. Für das zertrümmerte Taxi muss ein Leihwagen organisiert werden. Die Miete dafür ist sofort fällig, aber die Erstattung muss erst bei der Haftpflichtversicherung des Unfallverursachers beantragt werden. Abzüglich des Lohnes für den Angestellten bleibt nichts übrig. Dann kürzt die Allianz-Versicherung die Erstattung der Mietkos ten, da sie meint, die Anschaffung eines neuen Taxis hätte innerhalb von 14 Tagen abgewickelt werden müssen. Doch das Wrack – und in ihm alle Papiere Mehmets – gibt die Polizei erst nach vier Wochen frei. So lange dauern ihre Untersuchungen, und genauso lange liegt Mehmet im Kranken haus. „Ich wusste nicht mehr weiter,“ sagt Mehmet. Er wandte sich an Uwe Persson vom Verein Tätige Hilfe Taxi Hamburg e. V. In Zusammenarbeit mit der Taxi-Stiftung des BZP kann man der Familie zunächst mit einer vierstelligen Summe helfen. Die Genossenschaft Hansa-Taxi in Hamburg erlässt dem in Not geratenen Familienbetrieb drei Monatsbeiträge. Kollegen von Hansa-Taxi in Hamburg sammeln nochmal 500 Euro. „Ohne die Spenden wäre ich weg gewesen.“ »Allah gab mir eine zweite Chance.« Taxiunternehmer Mehmet Yilmaz Damit kann die Familie einen voll finanzierten neuen VW-Touran anmelden, zahlt aber drei Monatsraten für zwei Autos. Die Versicherung erstattet schließlich den Restwert des zerstörten dreijährigen Mercedes-Vito. Die Zahlung geht größtenteils an die Bank, denn das Taxi war noch nicht vollständig abbezahlt. VERSICHERUNG KÜRZT DEN VERDIENSTAUSFALL Auch Mehmets Verdienstausfall wird von der Versicherung gekürzt. Man hätte sofort einen Ersatzfahrer einstellen müssen. Während Mehmet, der vier Mal die Woche zu medizinischen Behandlungen muss, mit Schmerzen und Behinderungen und die Familie mit ihrem Alltag kämpft, gelingt es ihm schließlich, zwei weitere Teilzeitkräfte einzustellen. „Nachtfahrer wachsen ja nicht gerade auf den Bäumen.“ Die Familie muss zusätzlich Hilfe beim Jobcenter beantragen. Das verrechnet das Verletztengeld der Berufsgenossenschaft und unterstellt einen monatlichen Gewinn in Höhe von 1 000 Euro. Die sechsköpfige Familie bekommt jetzt monatlich 1 500 Euro Hartz IV und kann daraufhin ihre Gasrechnung nicht mehr bezahlen. Nochmals greift die Tätige Hilfe unter die Arme. Ins gesamt kommen so über 16 000 Euro zusammen. Er ist sehr dankbar für die Hilfe der Kollegen, die auch noch einmal spontan nach einem Bericht im „Hamburger Abendblatt“ Anfang Oktober Spenden gesammelt haben. Mehmet Yilmaz wird nicht vor März nächsten Jahres arbeitsfähig sein. Jetzt muss er wieder greifen lernen, sitzen, laufen. Im Januar soll eine Einarbeitung beginnen, bei der die Arbeitsbelastung schrittweise angehoben wird. Die Ärzte prognostizieren, dass er Ende Februar voraussichtlich wie der „sechs bis acht Stunden täglich“ arbeiten kann. „Bald kann ich wieder eine Faust machen!“, erzählt Mehmet stolz. Und dass er fast ohne Hilfe gehen kann. Wenn auch langsam, fügt er hinzu. Seine körperliche Schmerzen lassen nach, aber er fühlt Trauer für den jungen Mann, der bei dem Unfall gestorben ist. „Sie hätten doch meine Söhne sein können!“ Seine Stimme stockt bei diesem Satz. „Ich bin voller Trauer. Ich werde heute noch wütend, wenn ich an den Unfallfahrer denke. Er hat dem Jungen das Leben genommen und beinahe uns allen!“ Er wünscht ihm eine möglichst hohe Gefängnisstrafe. „Jeder soll leben, wie er will. Aber das Leben eines anderen aufs Spiel zu setzen – das darf niemand!“ NICHTS GESCHIEHT UMSONST Die große Hilfe der Kollegen habe der Familie Mut gemacht weiterzukämpfen. Mehmet Yilmaz zieht ein positives Fazit aus dem Unglück: „Nichts geschieht umsonst in unserem Leben. Ich habe zu viel gearbeitet und dabei beinahe mein Leben verlo ren. Der Unfall hat mich wachgerüttelt. Ich habe beschlossen, mehr Zeit mit meinen Kindern zu verbringen und meine täglichen fünf Gebete als Moslem zu verrichten. Denn meine Familie und mein Glaube an Allah geben mir die Kraft weiterzumachen.“ prh WIE MEHMET YILMAZ DIE MOMENTE NACH DEM UNFALL ERLEBTE „Ich kam zu mir, als sich die linke Seite des Autos öffnete. Erst mal spürte ich nur Schmerzen. Meinen rechten Arm konnte ich nicht bewegen. Ich war hinter dem Lenkrad eingeklemmt und meine Füße zwischen den Pedalen. Ich hörte das Wort ‚Exodus‘. Und hinter mir rief eine andere Stimme: ‚Ich habe hier noch Puls.‘ Dann schob mir jemand eine Kanüle mit einem Schlauch daran in den linken Arm. Und dann war ich wieder weg.“ Als er aus dem Koma erwacht, sieht er ein „verschwommenes Standbild von einem hellen Wagen“, der vor ihm etwa einen Meter in der Luft schwebt. 4 NOVEMBER / 2017 TAXI TAXI NOVEMBER / 2017 5

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