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Taxi Times DACH - September 2017

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TAXIZENTRALEN Viele

TAXIZENTRALEN Viele leere Stühle: Der Taxizentralenkongress im Juni hätte mehr Teilnehmer verdient gehabt. DIE LIBERALE GEFAHR Um eine Aufweichung der Gesetze auf europäischer Ebene zu verhindern, leistet sich das Taxigewerbe sogar zwei Lobbyisten. Anfang Juni hatte die Wiener Taxizentrale 40100 zur Taxikonferenz eingeladen. Neben etlichen Leitern diverser FMS-Zentralen (am Tag vorher fand das Eurocab-Treffen statt) waren auch die Verantwortlichen anderer Taxizentralen anwesend – wenn auch bei Weitem nicht in der Anzahl, wie es der Kongress eigentlich verdient gehabt hätte. Schließlich schufen die dort gehaltenen Vorträge die Basis für das eigentliche Motto der Veranstaltung. „Wir sitzen alle im selben Boot“, appellierte Gastgeber Leo Müllner, Geschäftsführer von 40100, an die Teilnehmer, die Chance zum Netzwerken zu nutzen und sich über die Erfahrungen der Branche mit den neuen digitalen Wettbewerbern in den einzelnen Ländern auszutauschen. Diese Erfahrungen sind von Land zu Land vielfältig, das wurde während der Vorträge sehr deutlich. Auffällig dabei, dass Schwachstellen in den jeweiligen Regularien von digitalen Wettbewerbern sofort ausgenutzt wurden. In der Schweiz beispielsweise ist die Personenbeförderung zwar ein Bundesgesetz, die Umsetzung und weitere Definitionen liegen allerdings in der Verantwortung der Kantone, teilweise sogar bei den Gemeinden. Das führt sowohl zu unterschiedlichen Zugangsvoraussetzungen bei der Lizenz- und Taxischeinerteilung als auch zu sehr unterschiedlichen Tarifen. HÖCHSTPREIS WAR DIE BASIS FÜR UBER Letzteres ist sogar innerhalb einer Gemeinde nicht einheitlich, wie das Beispiel Zürich zeigt. Dort hatte man vor zwei Jahren entschieden, beim Taxitarif einen Höchstpreis festzulegen. Die beiden großen Taxizentralen haben sich daraufhin entschlossen, beim alten Preis zu bleiben. Alle anderen sind auf den Höchstpreis gegangen, der etwa 25 Prozent höher ist. Das hat dazu geführt, dass Kunden für identische Fahrtstrecken unterschiedliche Preise bezahlen mussten, was diese natürlich nicht verstanden haben. „Das war die Basis für Uber“, analysiert André Küttel, Geschäftsführer der dortigen Zentrale 7x7, und nimmt dabei auch die Taxikollegen mit in die Verantwortung: „Jede Fahrt, die zum Höchsttarif gemacht wird, ist eine schlechte Fahrt, weil der Preis zu hoch ist. Taxihalter in Zürich haben das nicht realisiert, sie denken zu kurzfristig.“ In Österreich strebt man das Einheitsgewerbe an. Die Abgrenzung zwischen Mietwagen und Taxi wurde de facto aufgehoben, berichtet der Taxi-Fachspartenobmann Erwin Leitner. Mietwagen dürfen in Österreich eigentlich nur geschlossene Personengruppen fahren, beispielsweise Schüler. Seit der Verfassungsgerichtshof im Februar 2016 allerdings die Doppelverwendung wieder zugelassen hat, können Fahrzeuge sowohl als Taxi als auch als Mietwagen eingesetzt werden. „Damit ist unkontrollierbar, in welcher Funktion das Fahrzeug unterwegs war“, sagt Leitner. Gastgeber Leo Müllner, Taxi 40100 in Wien. FOTOS: Taxi Times 12 SEPTEMBER / 2017 TAXI

TAXIZENTRALEN Nicht nur deshalb denkt man in der Alpenrepublik über ein Einheitsgewerbe nach: Es soll keine Mietwagen mehr geben, nur mehr Taxis. „Unsere Fachgruppe hat den Auftrag zu Verhandlungen mit den Ministerien bekommen“, berichtet Leitner. Auf Beamtenebene konnte man bei ersten Gesprächen schon den Willen zur Änderung erkennen. Nach den Bundeswahlen wird man sehen, ob auch auf politischer Ebene Zustimmung zu erwarten ist. Wenige Wochen vor Österreich wird in Deutschland gewählt und es gilt als sicher, dass eine Änderung des dortigen Personenbeförderungsgesetzes (PBefG) in der nächsten Legislaturperiode vorgesehen ist. Die Vorschläge der Parteien reichen von smarten Anpassungen bis zu umfassender Liberalisierung. Für Letzteres steht in Deutschland die FDP, deren Regierungsbeteiligung zusammen mit der CDU von BZP- Präsident Michael Müller als Worst Case für das Taxigewerbe bezeichnet wird. Ein offizieller Vertreter von Uber ist Mitglied im Bundesvorstand der FDP. „Das lässt nicht unbedingt Gutes ahnen“, warnt Müller. Bisher konnte ein sehr strenges PBefG vor Uber & Co schützen, doch die Schwachstelle aus deutscher Sicht liegt darin, dass einzelne Regelungen auch in der Fahrerlaubnisverordnung (FeV) und in der BOKraft (Regelungen zur Fahrzeugausstattung) definiert sind. Kleinste Änderungen in diesen Verordnungen lassen sich schnell beschließen und sie können fatale Auswirkungen haben. So wie jüngst der Beschluss, durch eine Änderung eines Halbsatzes in der FeV die Ortskundeprüfung für Mietwagenfahrer komplett abzuschaffen. Für Mietwagenunternehmer wird es jetzt um einiges leichter, Fahrer zu finden. Die Aufträge generiert man über die Uber-App. Die Lobbyarbeit hat gefruchtet. „Schätzungsweise 240 Lobbyisten hat Uber europaweit engagiert, das Taxi­ gewerbe hat zwei“, berichtet Professor Karl Jurka in Wien von sehr ungleichen Voraussetzungen. Jurka ist einer der beiden Lobbyisten, die von fünf Taxizentralen in Wien, Berlin, Frankfurt und München engagiert wurden. Ihre Aufgabe ist es, in Brüssel bei den dort tätigen Kommissionsmitgliedern und Europaparlamentariern aufzuklären. „In Brüssel fahren zwar viele Politiker Taxi, aber sie wissen nichts über das Gewerbe“, sagt Anna Kasten, die Kollegin von Jurka. Karl Jurka und Anna Kasten leisten Aufklärungsarbeit in Brüssel. WARTEN AUF DEN GERICHTSHOF Eine Veranstaltung zu Jahresbeginn, zu der die österreichische Botschaft eingeladen hatte, sei gut besucht und positiv aufgenommen worden, berichten beide. Das plane man zu wiederholen. Innerhalb der EU warte man derzeit auf das Urteil des Europäischen Gerichtshof EuGH. Dort wird Ende 2017 entschieden, ob Uber als Vermittlungsdienstleister eingestuft wird und damit den nationalen Gesetzen zur Personenbeförderung unterliegt. Umfangreiche personenbeförderungsrechtliche Änderungen seien auf europäischer Ebene nicht vor 2019 zu erwarten, schätzen Jurka und Kasten, warnen aber gleichzeitig davor, sich darauf allzu sehr zu verlassen. „Brüssel hat immer Modeentwicklungen“, berichtet Jurka. Aktuell ist die digitale Wirtschaft Modethema Nummer eins. „Was man digital machen kann, wird gemacht.“ Es gelte auch, die politischen Veränderungen in Nationalstaaten zu beobachten. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron ist ein Wirtschaftsliberaler und in Deutschland könnte ein FDP-Politiker das Wirtschaftsministerium übernehmen. „In Brüssel sind die Beamten bei Uber gegen ihren eigenen Willen gebremst worden“, blickt Jurka hinter die politischen Kulissen. Während man Uber-Vertreter regelmäßig und gerne empfange, weigere man sich beharrlich, mit jemanden aus der Taxibranche ins Gespräch zu kommen. „Die aus den Ländern verordnete Ruhe bis 2019 könnte sich nach den Wahlen ändern, wenn zu viele Liberale an die Macht kommen.“ Das Taxigewerbe muss sich auf nationaler Ebene politisch noch viel mehr vernetzen und es muss seine Erkenntnisse und Erfahrungen auf internationaler Ebene austauschen. Das Ziel muss sein, eine „Rückkoppelung in den Nationalprozess“ zu erreichen, empfiehlt Jurka. Regelungen zur Personenbeförderung müssen in der Gesetzgebungshoheit der Nationalstaaten bleiben. jh LIBERALISIERUNG UND HÖCHSTPREISE Wie würde ein freier Taximarkt funktionieren? Der Blick in die Niederlande und nach Dänemark zeigt, dass totale Liberalisierung und Höchstpreise nicht der Weisheit letzter Schluss sind. In Dänemark haben die Behörden Maximum-Preise festgelegt. Die Branche kann sich dadurch an Ausschreibungen beteiligen, konkurriert dort aber mit öffentlichen und privaten Organisationen um Schüler-, Kranken- und Seniorenfahrten. Uber hat seinen Dienst aufgrund zahlreicher Strafverfahren mittlerweile in Dänemark eingestellt, hatte aber bis dahin dem Taxigewerbe bis zu 40 Prozent Umsatz weggenommen. In den Niederlanden wurde schon im Jahr 2000 der Taximarkt komplett liberalisiert, maßgeblich mit der Intention, dass die bestehenden Kräfte des Marktes entfaltet würden, die Qualität steigen und die Preise durch den Wettbewerb fallen würden. Unglücklicherweise lief das nicht wie geplant, weil die niederländische Regierung beschloss, einen Maximal-Fahrpreis zu installieren, um sicherzugehen, dass die Fahrgäste nicht abgezockt würden, wenn sie ein Taxi nehmen. Das bedeutete, dass alle Taxiunternehmen in den Niederlanden sich an den Maximalfahrpreis anpassten und so kein Wettbewerb über den Preis erreicht wurde. Inzwischen hat man die Kontrolllücke in Form eines als TTO bezeichneten Zusammenschlusses von mindestens 100 anerkannten Taxifahrern und 50 Taxis geschlossen. Die Mitglieder des TTO kontrollieren und disziplinieren ihre Kollegen, bevor die lokalen Behörden es tun. prh TAXI SEPTEMBER / 2017 13

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